Was unterscheidet eine Wortliste von einem Terminologie-Bestand?

Andrea GlĂŒck · 05. August 2019

Übersetzungsverantwortliche in Unternehmen erkennen oft, dass der Aufbau eines Terminologie-Bestandes (inklusive Datenhaltung in einem Terminologie-Verwaltungssystem) entscheidend zur QualitĂ€t der Dokumentation beitrĂ€gt und viele Probleme, RĂŒckfragen und im Zweifel auch ReklamationsfĂ€lle verhindern oder zumindest deutlich verringern könnte – und zwar sowohl in der Redaktion als auch bei der Übersetzung.

Allerdings stehen sie mit dieser Erkenntnis oft recht allein da.

Sind im Unternehmen Wortlisten vorhanden, in denen die Benennungen fĂŒr die gĂ€ngigsten Begriffe gefĂŒhrt werden, wird seitens der Kollegen und des Vorgesetzten vermutlich oft argumentiert, dass die „Terminologie“ bereits vorlĂ€ge und es deshalb keiner weiteren Maßnahmen im Bereich Terminologie bedĂŒrfe.
In der Praxis kommt es bei der Verwendung von Wortlisten allerdings immer wieder zu grĂ¶ĂŸeren Schwierigkeiten.

Warum das so ist, was Wortlisten von Terminologie-BestĂ€nden unterscheidet und was diese beiden Arten der „(Sprach-)Datendokumentation“ fĂŒr Redaktions- und Übersetzungsprozesse leisten können – und was nicht –, soll das Thema dieses Blogbeitrags sein.

Damit das Ganze nicht so theoretisch und trocken wird (dem Thema Terminologie haftet dieser Ruf ja ohnehin an), versuchen wir, uns diesem Unterschied anhand einer praxisbezogenen Geschichte zu nÀhern:

Der Geschichte von Sophie, dem RasenmÀher und ihren Kollegen Anne, Emil und Marco.

Viel Spaß!

Das sind Sophie und ihre Kollegen Anne, Emil und Marco. Sophie arbeitet im Sprachendienst ihres Unternehmens, ihre Kollegen sind aus den Abteilungen After-Sales, Entwicklung und Marketing.

Sophie ist dafĂŒr zustĂ€ndig, dass die Dokumentation aus den Abteilungen ihrer drei Kollegen in 37 Sprachen ĂŒbersetzt wird, damit die RasenmĂ€her, die von ihrem Unternehmen produziert werden, auch in anderen LĂ€ndern verkauft werden können. Sophie arbeitet mit einem guten Sprachdienstleister zusammen, bei dem die Dokumentation normalerweise schnell, qualitativ hochwertig und zu einem guten Preis ĂŒbersetzt wird.

Da manche Wörter trotzdem immer wieder unterschiedlich ĂŒbersetzt werden und oft RĂŒckfragen beantwortet oder Korrekturen gemacht werden mĂŒssen, erstellen Anne, Emil und Marco aus den bisherigen Übersetzungen eine Wortliste, die sie Sophie zur VerfĂŒgung stellen. Mit der Wortliste – da sind sich die drei sicher – wird es in Zukunft viel einfacher und sicherer fĂŒr die Übersetzer sein. Sophie verspricht, die Wortliste an den Sprachdienstleister weiterzugeben.

Als die ersten Übersetzungen zurĂŒckkommen, bei denen die Wortliste verwendet werden sollte, prĂŒfen Anne, Emil und Marco natĂŒrlich gleich, ob sich die Übersetzer auch an ihre Wortliste gehalten haben – sie sind entsetzt! Sie beschweren sich bei Sophie ĂŒber den Sprachdienstleister und fragen, warum sich die Übersetzer nicht an die Wortliste gehalten haben. Das ist doch die richtige Terminologie!

Sophie erklĂ€rt ihnen dann, dass das, was in der Wortliste steht, nicht immer gut ist, weil manchmal im Text etwas anderes gemeint ist und die Übersetzer dann abweichen mĂŒssen.
„Wie meinst Du das?“, fragen die drei.
Sophie nennt ihnen ein Beispiel aus einer der aktuellen Übersetzungen und erklĂ€rt, dass in der Wortliste nur ein Wort fĂŒr „Leitung“ stand, nĂ€mlich das Wort fĂŒr eine elektrische Leitung.
Im Text ging es aber um einen BenzinrasenmĂ€her, der Fluidleitungen hat. Da man in den allermeisten anderen Sprachen nicht – wie im Deutschen – das gleiche Wort fĂŒr „elektrische Leitung“ und „Fluidleitung“ verwenden kann, konnten sich die Übersetzer nicht an die Wortliste halten. Sophie erklĂ€rt weiter: „Das Problem liegt also nicht bei den Wörtern, sondern darin, dass ein Wort mehr als eine Bedeutung haben kann – wie bei der Leitung. Um zu wissen, welche Bedeutung ein Wort hat, muss man verstehen, fĂŒr welchen Sachverhalt dieses Wort in dem jeweiligen Text steht. Der Text wurde ja geschrieben, damit ĂŒber genau diesen Sachverhalt gesprochen werden kann.
Erst dann kann man entscheiden, ob das ausgangssprachige Wort auf der Wortliste das richtige Wort fĂŒr diesen Sachverhalt ist und das auf der Wortliste zugeordnete zielsprachige Wort auch passt.“

Die drei verstehen, was Sophie meint, wissen aber trotzdem nicht, was sie tun sollen.
„Und was machen wir jetzt?“, fragen Sophies Kollegen. „Wir haben die Wortliste ganz bewusst so erstellt, dass ein Wort niemals doppelt vorkommen kann. Ein Wort ist schließlich ein Wort! Wie sollen wir in der Wortliste festhalten, dass ‚Leitung‘ zwei unterschiedliche Bedeutungen haben kann?“, fragt Anne.

„Außerdem gibt es in der Wortliste auch noch FĂ€lle, in denen zwei unterschiedliche Wörter dasselbe bedeuten, aber nicht in den gleichen Texten verwendet werden dĂŒrfen. Da kommen wir beim Schreiben unserer Texte manchmal auch durcheinander.“

„Wie sollen wir mit diesem Problem umgehen?“, fragt Emil. Die drei sind jetzt ganz schön verwirrt und auch ein bisschen frustriert. Sie haben sich so viel MĂŒhe mit der Wortliste gegeben und jetzt gibt es trotzdem viele Probleme.

Sophie erklĂ€rt: „Wir mĂŒssen die Perspektive Ă€ndern und den Sachverhalt in den Mittelpunkt stellen und nicht die Wörter. Deshalb habt Ihr Eure Texte ja auch geschrieben.

In der Terminologie nennt man den Sachverhalt den ‚Begriff‘ und die Wörter nennt man ‚Benennungen‘.
Wir sollten schauen, dass wir zuerst alle Begriffe sammeln, die fĂŒr unser Unternehmen wichtig sind, und anschließend alle Benennungen, die es fĂŒr diese Begriffe in unserem Unternehmen gibt.
Somit stehen alle Benennungen immer beim jeweiligen Begriff und wir können markieren, welche Benennungen fĂŒr welche Texte verwendet werden sollen – und welche nicht. Damit man immer weiß, worum es genau geht, und nicht jedes Mal neu recherchieren muss, brauchen wir fĂŒr jeden Begriff eine Definition oder zumindest eine kurze ErlĂ€uterung.“ Sophie malt ein Beispiel fĂŒr Ihre Kollegen auf:

„Ahaaa!“, ruft Marco.

Aber dann sieht man schon wieder ein großes Fragezeichen in den Gesichtern der drei.
„Und was machen wir dann mit den Wörtern, die gleich sind, aber eine unterschiedliche Bedeutung haben, also wie bei der ‚Leitung‘?“, fragt Marco.

Sophie sagt: „Denkt daran, dass ihr den Sachverhalt, also den Begriff in den Mittelpunkt stellen mĂŒsst! Da es sich bei der ‚elektrischen Leitung‘ und der ‚Fluidleitung‘ um zwei unterschiedliche Begriffe handelt, mĂŒssen wir einfach zwei unterschiedliche EintrĂ€ge anlegen. Anhand der Definition oder ErlĂ€uterung kann man dann erkennen, um welche Art von Leitung es sich handelt.“
Sophie malt wieder ein Beispiel fĂŒr Ihre Kollegen auf:

„Das ist ja eigentlich total logisch!“, ruft Anne. „Aber wenn wir das alles sortieren wollen, ist das nicht sehr teuer? Wir können das ja auch gar nicht alleine leisten. Besonders fĂŒr die ErlĂ€uterungen mĂŒssen wir viele Kollegen fragen, weil wir auch nicht immer ganz genau Bescheid wissen. Und unsere Kollegen haben fĂŒr so etwas sicherlich keine Zeit! Und lange dauern wird es ja auch!“

Sophie erwidert: „Es stimmt, dass das am Anfang etwas aufwĂ€ndig ist, aber andererseits wissen wir eigentlich auch, dass wir sehr viel Geld fĂŒr die Bearbeitung der ganzen RĂŒckfragen und Korrekturen ausgeben, die es aufgrund von MissverstĂ€ndnissen immer wieder gibt. Diese Kosten können wir kaum kalkulieren. Die Kosten fĂŒr den Aufbau einer Terminologie können wir aber kalkulieren. Und es ist sicherlich besser, wenn die Kollegen ihre Zeit dafĂŒr verwenden als fĂŒr das Beantworten von RĂŒckfragen und das DurchfĂŒhren von Korrekturen.
Außerdem können wir die Terminologie dann auch fĂŒr die Redaktion verwenden und es passiert nicht mehr, dass fĂŒr bestimmte Texte die falschen Benennungen verwendet werden.“

Die drei sind einverstanden, es zu versuchen.
Sophie erstellt mit der Hilfe des Sprachdienstleisters und mit Anne, Emil und Marco ein Konzept, das sie ihrem Chef zeigen.
Es ist nicht leicht, ihn zu ĂŒberzeugen, aber als sie genau erklĂ€ren, dass einerseits die eigene Textredaktion dann schneller und besser sein wird und das Unternehmen andererseits bei der Übersetzung nach einer Weile sogar einiges an Geld sparen wird, weil es weniger RĂŒckfragen und Korrekturen geben wird und mehr Übersetzungen wiederverwendet werden können, erkennt auch er, dass sich die Investition lohnt.

Sie bauen die Wortliste zu einer echten Terminologie-Datenbank um.

Das dauert eine Weile, aber schließlich haben sie ihr Ziel erreicht: Da die Terminologie jetzt auch bei der Redaktion verwendet werden kann, werden die deutschen Texte einheitlicher und es geht schneller, sie zu verfassen. Auch die Übersetzungen werden einheitlicher und gehen schneller, da die Übersetzer nun viel weniger recherchieren und bei Anne, Emil und Marco erfragen mĂŒssen. Anhand der ErlĂ€uterungen in der Terminologie-Datenbank können sie schnell herausfinden, ob der Begriff (der Sachverhalt) gemeint ist, um den es auch im Text geht, und sie die jeweils vorgegebene zielsprachige Benennung verwenden können.
Außerdem können sie schnell erkennen, wenn ein Eintrag in der Terminologie-Datenbank noch fehlt und erstellt werden muss.
Anne, Emil und Marco sind sehr zufrieden, weil sie jetzt viel zuverlĂ€ssiger nachprĂŒfen können, ob die Terminologie auch verwendet wurde, und sie kaum mehr RĂŒckfragen beantworten mĂŒssen.
Die Texte in Ausgangs- und Zielsprache sind also nicht nur qualitativ besser, das Unternehmen spart auch Zeit und Geld.

Graphiken:

  • Sophie, Anne, Emil und Marco: Designed by macrovector / Freepik (http://www.freepik.com)
  • MĂŒnzen, Thumbs up: https://pixabay.com/de/
  • RasenmĂ€her: Designed by brgfx / Freepik (http://www.freepik.com)
  • Sprachdienstleister, Thumbs up: Designed by Freepik (http://www.freepik.com)
Andrea GlĂŒck

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