beo-Reisetipps: Indien, am Straßenrande des Wahnsinns

Daphné Pochhammer · 14. Dezember 2017

Unsere Kollegin Kristina befindet sich im Moment in Indien und gewährt uns einen kleinen Eindruck in ihren Alltag …

„Nach Indien, ganz allein?“ – „Hast du da keine Angst?“ – „Und was sagt eigentlich deine Mutter dazu?“ Das waren die häufigsten Fragen von Stuttgarter Kollegen, bevor mein Sabbatjahr begonnen hat und ich nach Indien aufgebrochen bin. Die Antworten, um es kurz zu machen, lauten in derselben Reihenfolge wie folgt: Ja. – Nein. – „Gute Reise“ hat sie gesagt.

In Deutschland schafft es nur selten ein Nachrichtenschnipsel über Indien in die Medien, und wenn, dann handelt er entweder von Monsunkatastrophen, Vergewaltigungsfällen oder den neuesten Smog-Rekorden in Neu-Delhi (welche selbst die Feinstaubmetropole Stuttgart wie einen Luftkurort aussehen lassen). Mit meinem indischen Alltag hat dieses mediengeschaffene Negativbild allerdings recht wenig zu tun. Zum einen wohne ich nicht in Delhi, sondern in der südindischen Provinz. Kleinstadt. 1 Million Einwohner. Zum anderen ist mir der echte Monsun bisher noch nicht begegnet und ebenso lauert nicht hinter jeder indischen Straßenecke ein Bösewicht, der es auf mich abgesehen hat. Andererseits gibt es natürlich auch zutreffende Klischees: Die berühmten Kühe auf der Straße, die gibt es wirklich und zahlreich, und ja, alle Inder lieben Sha Rukh Khan.

„Pass auf dich auf“, auch das wurde mir vor meiner Abreise oft gesagt. Aber das ist in Indien so eine Sache. Oft genug funktioniert es einfach nicht. Beispiel? Natürlich sagt mir der gesunde mitteleuropäische Menschenverstand, dass man in Indien besser nicht Motorrad fahren sollte, weil sich das Fahrverhalten der Einheimischen in ganz eigenen Dimensionen des Leichtsinns bewegt. Aber was machst du, wenn du an einer Bushaltestelle irgendwo im ländlichen Nirgendwo sitzt und sich stundenlang kein Bus blicken lässt, dafür aber ein zweirädrig motorisierter Inder, der dir eine Mitfahrgelegenheit zurück in die Zivilisation anbietet? Richtig. Du wirst das Aufpassen vorläufig den 330 Millionen Hindu-Göttern überlassen und hinten auf dem Motorrad mitfahren, wie es die routinierten Inderinnen jeden Tag tun. Im Damensitz. Ohne Festhalten. Profis nehmen zusätzlich noch ein Baby und/oder drei Einkaufstaschen auf den Schoß.

Nein, ich habe keine Angst. Wer Angst vor Indien hat, der sollte nicht herkommen oder sich auf die Strände von Goa beschränken, eine auf Touristen abgestimmte Light-Region dieses Landes. Das restliche Indien ist ein paar Nummern größer. Man mag es lieben oder hassen, am besten beides gleichzeitig. Das geht nirgendwo besser als auf Indiens Straßen, die es grundsätzlich und je nach Wetterlage nur in zwei Aggregatzuständen zu geben scheint: staubig-schmutzig (trocken) oder überflutet (nass). Ein Monsun ist gar nicht nötig, denn so gut wie jeder durchschnittliche Regenschauer verschafft den Passanten innerhalb weniger Minuten ein unfreiwilliges Fußbad in riesigen Pfützen.

Abgesehen davon ist Indien ziemlich laut, ziemlich heiß und schickt seine westlichen Besucher ziemlich gern auf emotionale Achterbahnfahrten. Eben noch stehst du fluchend in der staubigen Mitte einer vier- bis siebenspurigen Straße und lässt dich von wild hupenden Fahrzeugen umkurven, bis sich endlich die ersehnte Lücke im Stadtverkehr auftut, und dann… ja, und dann fährt plötzlich ein Schulbus mit strahlenden und winkenden Kindern vorbei, die dich als ausländischen Touristen wie einen Filmstar bejubeln. Sofern du Glück hast, kommt dir auf eben dieser staubig-stinkigen Straße sogar ein leibhaftiger und geschmückter Elefant entgegen, der auf dem Weg zum kunterbunten Hindu-Tempel um die Ecke ist, wo er per „Rüsselpatscher“ die Gläubigen segnet. Schon ist der Stress der Straßenüberquerung wieder vergessen, denn der Anblick eines heiligen Elefanten macht mühelos so manche Chaossituation wett!

Zum Schluss einige Fragen und Antworten, die mir seltsamerweise niemand stellt: „Indien ist bekloppt, oder?“ (Ja.) „Bereust du deine Reise?“ (Nein.) „Vermisst du Stuttgart?“ (Guter Witz.)

Daphné Pochhammer

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