Jetzt ist es offiziell: ein ISO-Ausschuss zerlegt sich selbst

Ilona Wallberg · 17. Mai 2019

Seit ca. 3 Jahren gĂ€rt es im internationalen Normungsausschuss fĂŒr Übersetzen. Die Meetings von Kopenhagen ĂŒber Wien bis HangZhou und auch die Webmeetings, die zwischen den offiziellen PrĂ€senz-Tagungen stattfinden (sollten), waren nicht etwa durch ernsthafte Diskussionen um die Sache geprĂ€gt, sondern durch Klagen der Teilnehmer wegen mangelhafter Moderation durch den Convenor (Versammlungsleiter) und des autokratischen Beharrens der Projektleiterin auf der einen Seite und dem Lamentieren der beiden ĂŒber die angebliche Unkenntnis der aus den MitgliedslĂ€ndern delegierten Experten auf der anderen Seite.

Vor gut einem Jahr gab es auch offizielle Beschwerden einzelner LĂ€nderorganisationen gegen die beiden.

Aber was bedeutet aktuell „zerlegt sich selbst“? In der letzten Woche wurden alle Meetings der Arbeitsgruppe ISO TC37 SC5 WG1, also zu den Übersetzungsthemen, fĂŒr die im Juni stattfindende Konferenz in Ottawa, Kanada, abgesagt!

Derzeit werden in der ISO TC37 SC5 WG1 zwei Normenvorhaben behandelt, die fĂŒr Übersetzer, Übersetzungsunternehmen, aber und vor allem auch die Kunden von sehr großer Bedeutung sind:

Zur geplanten „ISO 20771 Translation services in legal settings“ gab es nach dem Meeting in China zuletzt im August 2018 ein Webmeeting auf dem beschlossen worden ist, dass innerhalb eines Monats ein neuer Textentwurf vorgelegt werden soll. Geschehen ist ĂŒber Monate hinweg nichts. Erst in diesem April wurde ein neuer Text eingereicht und zur offiziellen Abstimmung gestellt (ein definierter Prozess mit festgelegten Zeiten), deren Deadline mitten in der kanadischen Sitzungswoche ablĂ€uft, sodass weder Projektleiterin noch Experten vor Ort Gelegenheit haben, sich mit dem Ergebnis und den eingereichten Änderungskommentaren zu beschĂ€ftigen.

Die geplante ISO 21999 zur Bewertung der ÜbersetzungsqualitĂ€t wurde zuletzt im September per Webmeeting besprochen, jedoch gab es auch hier kein inhaltliches VorwĂ€rtskommen, aber zumindest die Verabredung, dass bis November/Dezember ein komplett runderneuerter Entwurf vorgelegt wird. Nada, niente, nitschewo!!!

Das deutsche Spiegelgremium bei DIN hatte bereits im MĂ€rz an offizieller Stelle angeregt, die ursprĂŒnglich fĂŒr die 20771 geplanten Arbeitszeiten in Ottawa fĂŒr eine allgemeine Diskussion ĂŒber die Zusammenarbeit zu nutzen, dies wurde vom Convenor ablehnt.

Letzte Woche nun kam die offizielle Absage aller Termine fĂŒr die ISO TC37 SC5 WG1 wĂ€hrend der Sitzungswoche in Kanada, obwohl sich federfĂŒhrendes und ĂŒbergeordnetes Sekretariat fĂŒr Besprechungen stark gemacht hatten. Die BegrĂŒndung des Convenors fĂŒr die Absage lautet: „I also know that, for various reasons, the relevant leading experts will not be present in Ottawa, so there is no point in organizing any WG1 meetings to discuss the current two standards under development.“

18 Experten aus etlichen LĂ€ndern rund um den Globus und von internationalen Organisationen (allesamt „relevant leading experts“) hatten sich bereits angemeldet ( z.T. sicherlich die Reise auch gebucht). Im deutschen Spiegelgremium gibt es 6 Experten, die die ISO-Sitzung bereits vorbereitet und die gemeldeten beiden Delegierten bestens gebrieft hatten: Wolf Bauer, seit vielen Jahren FunktionstrĂ€ger im grĂ¶ĂŸten deutschen Berufsverband BDÜ und seit 1993 als Übersetzer tĂ€tig, und ich, diplomierte Jura-Übersetzerin mit mehr als 30 Jahren Berufserfahrung, vor allem allerdings auf dem Gebiet der QualitĂ€tssicherung und im QualitĂ€tsmanagement.

Wir werden dennoch reisen, da wir auch zu anderen Arbeitsgruppen angemeldet sind, und versuchen, mit den WG1-Kollegen ins GesprÀch zu kommen. Dazu werden wir in den nÀchsten Tagen Einladungen an alle uns bekannten Experten schicken.

Wie auch das Engagement der tekom durch die zahlreichen Beitrage zur Normung im Übersetzungsbereich wĂ€hrend der Tagungen und in den tekom Nachrichten zeigt: Gerade das Thema Bewertung der ÜbersetzungsqualitĂ€t ist sowohl fĂŒr Übersetzungsdienstleister (Freelancer wie Unternehmen) als auch fĂŒr deren Kunden extrem wichtig.

Ilona Wallberg

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